Die dieser stillen Offenbarung ent-sprechende Antwort ist die „gleich schwebende“Aufmerksamkeitshaltung, die ergriffen ergreifende Wahr-Nehmung, die sich in der Gunst desSchweigens als deutender Einfall oder als mystisches Wort gestaltet. Die Gegebenheitsweise dieserWirklichkeit begreife ich – im Unterschied zur grenzüberschreitenden Transzendenz – als ciszendental.Dieser Begriff soll die hereinbrechende Ankunft des Selbsterweises, des Miteinander-Seins und desWeltbezugs kennzeichnen. Nach meinem Verständnis gründet die in ihrer psychotherapeutischenRelevanz vielfach verkannte zweite Theoriestufe der Individualpsychologie Adlers (1918–1937), dieganz im Zeichen des „Gemeinschaftsgefühls“ steht, im ebenso verkannten Phänomen der Ciszendenz (5.Kapitel: Eine ciszendentale Interpretation der Individualpsychologie Alfred Adlers). Hier werden dieDifferenzen zwischen der ersten und der zweiten Theoriestufe herausgestellt. Ferner wird gezeigt, inwelchen philosophischen, christlichen und psychoanalytischen Konzepten (speziell bei Melanie Klein)das Phänomen der „Ciszendenz“ aufscheint.Der Kontrast zwischen dem nach außen gerichteten Streben und dem rezeptiven, ahnenden undentzündeten Erfahren wird dann an den Phänomenen der Sehnsucht und der Liebe dargestellt. Dabei zeigtsich ein Gegensatz zwischen dem platonischen Eros und der im Menschen erwachenden Liebe, die nachchristlichem Verständnis eine im Menschen geborene Ahnung und Wirkung der vorausgehendengöttlichen Liebe ist. Der erobernde, nach außen gerichtete Zug wird auch im Bestreben der neuzeitlichenWissenschaft nach gesichertem Wissen, das auf Descartes fußt, wiedergefunden. Dagegen deutet sich inden der Sehnsucht korres-pondierenden Phänomenen, die in der Psychoanalyse untersucht werden, eineÖffnung für die Ciszendenz an, zum Beispiel im Triebwunsch Freuds, im Streben Adlers, im BegehrenLacans und in der „depressiven“ Position Melanie Kleins (6. Kapitel: Sehnsucht: Trieb, Begehren,Streben – Eine tiefenpsychologische Revision).Nach diesen tiefenpsychologischen Grundanalysen, die die Haltung des notwendigen Wahr-Nehmensfreilegen sollen, konzentriert sich die Untersuchung stärker auf den Vergleich der psychoanalytischen undder mystischen Erfahrungsweise. In diesem Zusammenhang ist eine Auseinandersetzung mit FreudsReligionskritik und seinen Kommentaren zum sogenannten „ozeanischen Gefühl“ notwendig (7. Kapitel:Selbsterfahrung und mystische Erfahrung). Repräsentativ für diese Wahr-Nehmung der mystischenDimension der Psycho-analyse steht die Lehre Wilfred R. Bions. Hier rückt einerseits Bions Idee der Transformation der unerkennbaren letzten Wirklichkeit jedespsychoanalytisch bedeutenden Ereignisses in verstehbare und die Erfahrung verändernde Interpretation inden Vordergrund und andererseits die Haltung des Psychoanalytikers „ohne Erinnerung, ohne Wunschund ohne Verstehen“. Bion selbst vergleicht diesen Vorgang mit Konzepten der Mystik, insbesondere mitdem von Meister Eckhart entworfenen Übergang der ununterschiedenen „Gottheit“ zum differenten, aufdie Schöpfung bezogenen „Gott“. Bion folgend werden Eckpunkte einer ‚mystischen Psychologie‘ in derLehre Eckharts selbst vorgestellt (8. Kapitel: Feldarbeit zwischen Mystik und Wissenschaft bei demPsychoanalytiker Wilfred R. Bion – mit einem Ausblick auf Meister Eckhart).Auf diesem Boden wird eine „mystische Dimension“ der Psychoanalyse postuliert, die an Freudszusammengehörige Leistungen der Praxis, „Forschung und Heilung“, anknüpft. Die Forschung in jederpsychotherapeutischen Sitzung wird als experimentum animae, als seelische Erfahrung, bestimmt.Diezugehörige meditative Methode wird wiederum mit der psychoanalytischen Vorgehensweise der gleichschwebenden Aufmerksamkeit verglichen und mit einer allgemeinen Definition des Mystischen im Sinneeiner „formalen Anzeige“ konfrontiert (9. Kapitel: Die Dimension des Mystischen in der Psychoanalyse). Die Analyse des Zusammenhangs von Psychoanalyse und Mystik konzentriert sich abschließendnochmals auf den zentralen ‚Gegenstand‘ der psychoanalytischen Forschung, die Funktionsweise desUnbewussten. Es zeigt sich, dass sowohl das sogenannte Unbewusste ein Grundphänomen in jederSelbsterfahrung und in jedem mentalen Vollzug ist, der keineswegs bloß der Psychoanalyse ‚gehört‘, unddass andererseits die Wahr-Nehmung des Mystischen keine vorwiegend religiöse Erfahrung ist, sonderneine ubiquitäre, fundamentale Weise des Erscheinens („Phänomena-lisierungsmodus“) (10. Kapitel: Das„Unbewusste“ – die „mysti-sche“ Seite des Rationalen).Die hier gesammelten Betrachtungen spiegeln eine Denkbewegung, die insgesamt drei Jahrzehnteüberspannt. Vorarbeiten der einzelnen Kapitel sind in Aufsätzen und Vorträgen bereits vorgestellt worden.Das ist die Ursache für einige Wiederholungen in diesem Werk, die ich der Deutlichkeit halberabsichtlich nicht beseitigt habe. Darüber hinaus darf ich aber meiner Freude darüber Ausdruck geben,dass sich unter den vielfältig erscheinenden Themen ein gemeinsamer einheitlicher Grund ausloten lässt.Er deutet sich an in der basalen Rezeptivität des wahr-nehmenden Geistes, die bei Meister Eckhartmügelîche empfenclicheit, bei Heidegger „Ereignis“, in der Lebensphänomenologie Henrys und Kühns„Selbstaffektion in der Passibilität des Mich“ heißt. Damit sind die Gewährsmänner und spirituellenQuellen genannt, die den gemeinsamen philosophischen Grund und Boden dieser Ausführungenbereitgestellt haben.